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Kapitel 11

Die Ankunft


Am Nachmittag speichert Léon die digitalen Fotos der Karte auf die Festplatte seines Laptops. Sie ist handgemalt und stimmt mit keiner der heutigen Seekarten überein. Mit den eingetragen Städten wie Orme, Jonnt und Jumme kann er nichts anfangen, da es keine vergleichbaren Orte an der Ostseeküste gibt.
Léon schwingt mit seinem Bürostuhl herum, schaut nachdenklich aus dem Fenster und betrachtet das UFA Gebäude mit der roten Backsteinfassade. Irgendetwas sagt ihm, dass heute noch etwas Wichtiges passieren wird. Dann fällt es ihm wieder ein. Mira kommt heute mit Diego. Sie hatte es ihm in Budweis ins Ohr geflüstert. Wie konnte er das vergessen? Was wird sie über ihn denken? Über jemanden, der in einem Büro wohnt und dessen Schreibtisch immer so aussieht, als wenn er nichts zu tun hat? Sie kann nicht wissen, dass sich seine Werkstatt auf der Festplatte seines Laptops befindet. Ihm wird unwohl bei dem Gedanken, dass er an ihrem ersten Eindruck nichts ändern kann.
Er nimmt den Telefonhörer in die Hand. Über die Telefonauskunft lässt er sich mit der Peenewerft in Wolgast verbinden und hofft, mehr über die Godewind, und ihrem Heimathafen zu erfahren. Schnell stellt sich heraus, dass dort keine entscheidenden Informationen zu erhalten sind. Der Leiter teilt ihm lediglich mit, dass nur noch Berufsschiffe auf der Werft gebaut werden. Er muss also anders an die Sachen rangehen. Eine Seekarte aus der Zeit von 1932 würde ihm jetzt weiterhelfen. Leider muss er feststellen, dass es noch Dinge gibt, die nicht über das Internet zu bekommen sind. Er klickt sich wild durch die Links der Suchmaschinen und zahlreiche elektronische Seekarten füllen seinen Bildschirm. Eine Seekarte von 1932 ist nicht dabei, aber eine von Rügen. Er beginnt damit, einen Ausschnitt heraus zu zoomen und stellt fest, dass es etwa 50 Yachthäfen zwischen Warnemünde und Ueckermünde gibt. Schnell programmiert er die Koppelkurse. Das Resultat sind drei abgeknickte -, aneinander hängende Linien. Diese schiebt er mit dem Cursor von Hafen zu Hafen über den Bildschirm. Da Segelschiffe nicht über Land fahren können, wird ihm klar, dass nur wenige Häfen in Frage kommen. Aus den Internetseiten über die Yachthäfen Kröslin und Glowe folgert Léon, dass es sich bei beiden um neue Marinas handelt, so dass letztendlich nur noch drei Häfen übrig bleiben. Lohme auf der Nordseite von Rügen, Altefähr bei Stralsund und Schaprode auf der Westseite Rügens gegenüber von Hiddensee.
Seine Recherche wird von der Türklingel jäh unterbrochen. Léon schreckt auf, klappt seinen Laptop zu, geht zum offenen Fenster und schaut hinaus. Da sieht er einen Pferdeanhänger neben der Grünanlage stehen. Mira, schießt es ihm wieder durch seinen Kopf. Obwohl er sich tagelang um eine Unterkunft für Diego gekümmert hat, kann er es jetzt nicht fassen, dass sie tatsächlich vor seiner Türe steht. Da er das Pferd anschauen möchte, drückt er die Tür nicht einfach über die Telefonanlage auf, sondern geht gleich die Flurtreppe hinunter. Léon öffnet die schwere Tür und wird von Mira mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Sie lacht, scheint gewachsen zu sein oder es liegt an ihren Schuhen, da er sich nicht bücken muss, um sie in den Armen zu halten. Léon umarmt sie sanft und durch das
T-Shirt kann er das erste Mal ihren athletischen Körper fühlen. Trotz der langen Autofahrt, wirkt sie frisch, gut gelaunt und er weiß nicht, ob er sie oder sie ihn zuerst loslassen soll. Ihre weichen Haare streicheln sein Gesicht, und er ist überrascht, wie gut es sich anfühlt, sie so in seinen Armen zu halten. Sekunden der Ewigkeit vergehen, bis Léon sie verlegen auffordert, ihm Diego zu zeigen. Sie nimmt seine Hand, zieht ihn zum Anhänger, öffnet den oberen Teil der Seitentür, da kommt ein Pferdekopf mit sehr lebendigen Augen hervor. Er sieht es ihr an, wie glücklich sie darüber ist, dass Diego die lange Fahrt gut überstanden hat. Voller Freude holt sie einen Apfel aus ihrer Tasche, den der schwarze Hengst auf ihrer Handfläche vorsichtig zerteilt, um die eine Hälfte geräuschvoll in seinem Maul zu zermalmen.
„Wenn du kein Geld für die Stallmiete haben solltest, dann lass’ Diego als Saftpresse arbeiten!“, scherzt Léon und schaut Mira dabei schmunzelnd an.
Sie rollt mit den Augen und Léon registriert, dass sie darüber nicht lachen kann.
„Möchtest du sehen, wie ein Cybermensch lebt oder sollen wir das auf später verschieben?“, fragt Léon kleinmütig.
„Lieber ein anderes Mal“, erwidert Mira, „ich möchte Diego so schnell wie möglich zum Pferdehof bringen, damit er sich endlich bewegen kann.“

Mit einem Schlag verschwinden seine Befürchtungen. Schnell geht er seine Jacke holen, kommt mit einem Beutel Äpfel wieder und steigt zu ihr in den Wagen. Sie startet den Motor. Ruckelnd setzt sich das Gespann in Bewegung. Während Mira ihm von der langen Autofahrt erzählt, zeigt er ihr per Handzeichen den Weg. Nachdem sie die Ufer-straße am Schwielowsee verlassen haben, erreichen sie kurz danach die Stallungen des Pferdehofs. Sie stellt den Wagen mit dem Pferdeanhänger auf der Wiese vor der aus hellem Holz gebauten Reithalle ab. Mira macht sich daran, Diego aus dem Hänger zu locken. Sie öffnet die Laderampe, aber Diego ist nicht bereit herauszukommen. Zuerst versucht sie ihn mit Möhren zu ködern, dann mit Zureden. Am Ende schiebt sie ihn an der Brust rückwärts aus dem Hänger. Schnaufend, wiehernd und mit den Hufen stampfend, poltert der Araber aus dem Hänger. Draußen steigt er hoch, um noch heftiger zu protestieren.
„Diego ist ein Hengst. Er muss sich einfach wichtig machen“, entschuldigt Mira das Theater.
„Das kenne ich!“, fällt es Léon aus dem Mund und er spricht schnell weiter in der Hoffnung, dass Mira es überhört hat, weil sie es anders verstehen könnte, als er es in diesem Moment gemeint hat.
„Er ist wichtig. Diego ist der einzige Hengst auf dem Hof“, klärt Léon Mira auf, dabei schaut er beeindruckt, als Diego direkt vor ihm in die Höhe steigt.
Das kann spannend werden, denkt Mira und presst ihre Lippen sorgenvoll zusammen.
„Warum wurde aus ihm kein Wallach?“, fragt Léon vorsichtig.
„Ich stehe auf Muskelpower und das gibt es üppiger, wenn man ihn als Hengst weiterleben lässt“, antwortet Mira selbstbewusst.
Automatisch betrachtet Léon seine Oberarme. Als er sich im Stall an die beißende, ammoniakhaltige Luft gewöhnen muss, kann Mira Diego mit einer Schüssel voll Pellet, Müsli und Möhren beruhigen. Während Diego beim Fressen ruhiger wird, scheinen die anderen Pferde immer nervöser zu werden. Weil ein Friese noch keine Mahlzeit hat, donnert dieser aus Protest mit beschlagenem Huf wütend gegen die Boxenbretter.
Zur Eingewöhnung bringen Mira und Léon Diego auf eine abgelegene Weide am Waldrand. Mira nimmt dem lebhaften Tier das Halfter ab, doch anstatt los zu laufen, weicht der Hengst nicht von ihrer Seite. Von der Umzäunung aus kann Léon den verängstigten Blick des Pferdes sehen. Diego scheint genau zu wissen, dass sie gleich gehen werden, und Mira fällt es schwer, ihn so in seiner neuen Umgebung stehen zu lassen. Erst als die Sonne senkrecht steht, machen sich beide auf den Weg. Léon koppelt den Hänger ab, und beide fahren nach Werder. Als sie dort ankommen hat der Wind zugenommen, der die Masten schon von weitem mit hellen Klicktönen erklingen lässt. Zu Fuß laufen sie durch eine schmale abgelegene Gasse, in der Aale, Zander und Welse geräuchert werden. Schon beim Näherkommen wabert der würzige Rauch aus den Räucheröfen durch die Luft. Am Steg, der in einem Bogen auf das Wasser hinausführt, hängen Fischkästen an Winden. Mira schaut sich um und betrachtet kleine Boote die auf den Wellen schaukeln und beobachtet Kinder, die vor Vergnügen kreischen, während sie in den Wasserkästen mit zappeligen Fischen spielen. Sie ist von diesem verträumten Ort gleich fasziniert und hüpft ganz aufgeregt.
„Welches Boot ist deins?“
„Dort drüben, das mit dem schwarzen Rumpf.“
Er nimmt ihr den roten Hartschalenkoffer aus der Hand. Auf dem Steg schaut sie mit Sorge auf die kleine Trittfläche am Bugkorb, die scheinbar nur mit einem Sprung über das Wasser zu erreichen ist. Léon macht es vor. An der Leine zieht er die Yacht ein Stück heran. Mit einem großen Schritt auf die Bugspitze geht er an Bord. Noch bevor Léon die Yacht näher an den Steg verholen kann, macht Mira einen weiten Schritt auf die Trittfläche. Dabei verliert sie das Gleichgewicht und fällt Léon in die Arme.
„Das üben wir noch!“, sagt Léon überrascht.
In Gedanken stellt er sich aber die Frage, wie er einer Frau das eigenmächtige Handeln auf seinem Schiff abgewöhnen kann.
„Ich wusste nicht, wo ich mich festhalten konnte. Ich bin doch das erste Mal auf einem Segelschiff“, entschuldigt sie sich.
„Und jetzt wohnst du auf einem!“, sagt Léon und gibt ihr zu verstehen, wie schnell sich alles ändern kann.
Léon geht über das Deck zum Cockpit und schließt das Türschott zum Niedergang auf. Vorsichtig folgt ihm Mira unter Deck. Sie ist gleich angetan von den königsblauen Polstern der Sitzecke, entdeckt einen Mikrowellenherd und einen in die Wand eingebauten Flachbildschirm mit DVD–Player. Aber nicht nur das. Wie mit Fischer damals besprochen hat Léon einen Internetserver im Hauptgebäude installiert und den gesamten Hafenbereich in einen WLAN Hotspot verwandelt. Er erklärt Mira, dass sie durch die starke Antenne auf dem Mast überall an Bord Internet für ihre Arbeit nutzen kann. Sich umschauend, betritt sie die Achterkoje und ist begeistert, da sie so viel Komfort auf einem Segelschiff nicht erwartet hat. Mit der Hand vor dem offenen Mund kommt sie zurück. Léon öffnet den Kühlschrank und holt ein Coffeingetränk heraus.
„Ich habe ein paar Lebensmittel für dich eingekauft. Fühl dich wie zu Hause“, sagt Léon freundlich und schaltet die Heizung ein.
„Das ist lieb von dir. Es wird mir sicherlich nicht schwerfallen, mich hier einzuleben. Ich finde es jetzt schon gemütlich, auch wenn man sieht, dass es hier keine Bordfrau gibt“, bemerkt Mira mit linkischem Grinsen.
„Woran erkennst du das?“, fragt Léon überrascht.
„Es liegt zu viel Werkzeug herum“, antwortet Mira mit geschultem Blick, dabei öffnet sie die Fenster, um die seltsam abgestandene Luft zu verdünnen.
Es ist für Léon immer ein Rätsel gewesen, worauf Frauen achten und dass sie die Dinge auch in einem Chaos sofort finden können. Was hat Mira auf einem Segelschiff erwartet?, fragt sich Léon im Stillen.
„Ich habe verstanden. Blumen und gemütliche Kissen müssen her“, scherzt Léon.
„Nicht gleich übertreiben! Ich werde sehen, was sich machen lässt“, lehnt sie ab und macht deutlich, es selbst in die Hand nehmen zu wollen.
Léon versteht nicht recht, was sie meint und befürchtet nun, dass die Inneneinrichtung von ihr umgestaltet wird. Da er aber weiß, dass die Schränke fest an der Bordwand montiert sind, geht er nicht weiter auf den Gedankenunsinn ein.
„Léon, ist es ein Problem, wenn wir gleich noch mal nach Diego sehen könnten?“, fragt Mira mit mitleiderregendem Blick.
„Natürlich nicht. Ich weiß, was du meinst. Dabei kannst du mich im Büro absetzen“, antwortet Léon verständnisvoll.
„Ich ziehe mir nur was anderes an, dann können wir los“, sagt Mira mit flotter Stimme.
Sie geht zur Vorderkajüte, wühlt in ihrem Koffer, holt ein Paar Stiefel und eine Reithose heraus. Ohne die Kajütentür zu schließen, beginnt sie sich auszuziehen. Léon versucht wegzuschauen. Da sie aber mit ihm weiterredet und es so lustig aussieht, wie sie an der engen Hose rumzerrt, sieht er doch hin.
„Das geht im gestreckten Zustand viel leichter. Wenn du möchtest, ziehe ich dich am Mast hoch?“, scherzt Léon.
„Das probiere ich morgen aus, jetzt bin ich schon drin“, kontert Mira und lächelt dabei.
Kaum hat sie die Reithose zugeknöpft, reißt sie ihr
T-Shirt mit gekreuzten Armen hoch und Léon kann etwas Goldenes an ihrem Busen funkeln sehen. Mit einem Piercing hat er nicht gerechnet, verdutzt fällt sein Blick darauf. Erst als sie, „fertig“, sagt, erwacht Léon aus diesem Tagtraum. Draußen an Deck atmet Léon tief durch, um mit Hilfe der kühlen Abendluft wieder Boden unter seine Füße zu bekommen. Als Mira mit ihren schwarzen Reitstiefeln über das Deck poltert, wird Léon hellwach und kämpft mit sich, sie nicht gleich deswegen anzuraunzen. Schnell nimmt er das Türschott in die Hand, um seine Gedanken mit abzuschließen. Im Auto erzählt Mira wieder von Diego. Als junges Fohlen hat sie ihn von einem Züchter bekommen. Weil er lahmte sollte Diego eingeschläfert werden. Eine Stute hatte nach ihm ausgetreten und ihn am Hinterlauf verletzt. Als sie von einer Freundin davon hörte, ist sie gleich hingefahren und hat ihn sofort in ihr Herz geschlossen. Sie hat Diego gesund gepflegt und seitdem fährt sie jeden Tag zum Reiten in den Stall. Nun ist Diego ein stattlicher Hengst, den auch der Züchter nicht mehr hergeben würde. Erst beim Aussteigen an der Koppel, als die Sonne hinter den Bäumen verschwindet, ist Mira mit ihrer Geschichte fertig. Da gesteht Léon ihr, dass er vor Pferden wegen ihrer Größe Respekt hat. Daraufhin nimmt sie die Stromhaken von dem Umzäunungspfosten ab und zieht Léon an der Hand auf die Weide hinaus. In der Dämmerung können sie Diego zuerst nicht sehen. Aber sie hören, wie seine Hufe im Rhythmus einer Welle den Hügel hinauf poltern. Wiehernd, im Trab tänzelnd, kommt er aus der bewaldeten Ecke auf sie zu. Schwarz wie die Nacht steht der Araber vor ihnen, und Léon bleibt der Atem stehen. Ihm ist nicht wohl, dennoch streichelt er die Brust, dann den Kopf. Wieder ist Léon von den dicken Muskelpaketen des Tieres beeindruckt. Kein Gramm Fett, nur festes Muskelfleisch, verpackt in einem glänzenden Fell. Jetzt kann Léon Mira verstehen, dass Reiten für sie faszinierend ist. Sie redet mit Diego wie mit einem guten Freund, und er scheint jedes Wort zu begreifen. Mit dem Kommando „Lauf“ und schwingenden Armen animiert sie ihn, einige Runden zu drehen. Sofort spurtet der Hengst los. Er jagt im vollen Galopp über die Weide, lässt die Mähne fliegen und Mira und Léon spüren, dass der Hengst jetzt in seinem Element ist. Wiehernd macht er während des Galopps riesige Freudensprünge, dabei schlägt er aus und kommt mit hoch aufgestelltem Schweif wild schnaubend auf sie zu. Nachdem Mira und Léon von der Hetzjagd eine Pause machen, stellt sich Diego zu den beiden, als wenn er an dem Gespräch teilnehmen möchte. Nun ist Léon von dem friedlichen Wesen überzeugt, und er ist sicher, dass sich nur Miras temperamentvoller Charakter auf den Hengst übertragen hat.
Am späten Abend machen sich die beiden auf den Rückweg zu Léons Büro. Im Auto startet sie den Motor und wechselt abrupt das Thema.
„Ich darf dir gratulieren.“
„Wofür?“ Léon ist überrascht, da er nicht weiß, wovon sie redet, denn Geburtstag hat er nicht.
„Bei den VDST Turnieren habt ihr am besten abgeschnitten und dafür einen Pokal bekommen. Ihr seid Deutschlands beste Mannschaft“, sagt Mira, aber wundert sich, weil sie es ihm erklären muss.
„Sicher nicht! Duisburg hat nur wenige Turniere besucht. Nur deshalb konnten wir den Pokal gewinnen. Es war ihnen egal. Dieses Team lässt lieber ein mittelmäßiges Turnier ausfallen, um dafür ein Spezialtraining ansetzen zu können.
„Warum?“, fragt Mira.
„Sie wollen wieder Meister werden. Deshalb wird ihr Training immer extremer. Anstatt zu spielen, wird nur noch die Ausdauer unter Wasser trainiert. Spaß macht das nicht, aber erfolgreich“, seufzt Léon.
„Schon, aber jetzt seid ihr der Gegner.“
„Wir sind kein Gegner. Duisburg ist nicht zu schlagen“, dabei hört er sich das automatisch sagen.
„Bei der vorletzten Deutschen Meisterschaft seid ihr im Endspiel mit einem Tor in Führung gegangen. Ihr hättet es gewinnen können“, versucht Mira ihn aufzumuntern.
„Richtig, dennoch haben wir verloren. Wir waren so überrascht von unserem eigenen Tor, dass wir die zwei Gegentore nicht verhindern konnten“, erlebt Léon dieses Trauma erneut.
„Jetzt bekommen sie noch Verstärkung. Gerd Wiesbach und Günter Baumann wechseln von Krefeld nach Duisburg“, fügt Mira beiläufig hinzu.
„Das sind tolle Neuigkeiten. Das sind zwei Nationalspieler und letzten Monat haben sie Sharki dazu bekommen. Er war schon in Krefeld nicht zu bremsen. Und jetzt das noch!“, ist Léon entsetzt.
„Es ging nicht anders. Krefeld hat aufgegeben. Die Mannschaft ist nach Sharkis Wechsel auseinander gebrochen“, berichtet Mira.
„Schlimmer kann es für uns nicht kommen. Für Duisburg wird es ein Spaziergang ins Finale“, ist sich Léon sicher.
„Leicht wird es euch nicht gemacht“, meint Mira mitfühlend.
Léon biegt in die Einfahrt des Filmgeländes ein.
„Wir sind da! Magst du jetzt mit reinkommen?“, fragt Léon, während sie den Motor des Wagen abstellt.
Mira nickt.
„Aber bitte denk’ daran, dass ich heute Nacht noch den Hafen mit deinem Schiff finden muss“, erinnert ihn Mira.
„Geht klar, ich kann dir den Weg auf der Karte zeigen“, beruhigt Léon sie.
Auf der Treppe stehend, sieht Léon durch die Glastür. Ihm fällt sofort auf, dass etwas nicht stimmt. Er öffnet langsam die Tür, und beide gehen vorsichtig hinein.
„Sieht das immer so aus?“, fragt Mira ungläubig.
„Ich bin zwar hastig rausgerannt, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich den Hausrat mitnehmen wollte“, antwortet Léon verkniffen.
Léon traut seinen Augen nicht. Jemand hat die gesamte Bürowohnung verwüstet. Alle Schubladen wurden heraus gezogen. Ein Regal wurde umgestoßen und alles, was Léon im Schrank aufbewahrte, liegt verstreut auf dem Boden. Léon braucht einen Augenblick, bis er begreift, was hier geschehen ist. Reflexartig schaut er nach den beweglichen und teuren Dingen.
„Alles noch da. Meinen nagelneuen Laptop haben sie runtergeworfen, aber nicht mitgenommen“, stellt Léon überrascht fest.
„Was haben die gesucht?“, will Mira entsetzt wissen, als sie einen Schritt über umherliegende Ordner macht.
„Gute Frage“, weicht Léon ihr flink aus.
Léon nimmt den Hörer in die Hand und wählt die Nummer seines Polizeifreundes.
„Hier Léon. Bei mir wurde eingebrochen“, stammelt Léon in den Hörer.“
„Sieht es schlimm aus?“
„Meine Bude gleicht einem Saustall!“, schimpft Léon.
„Ich bin gleich da!“, sagt Flosse und entschließt sich sofort loszufahren.
Eine Stunde später klingelt es an der Tür, und Flosse steht mit vier Kripobeamten davor.
„Schaut euch das Chaos an!“, öffnet Léon die Tür und bittet die Ermittler verärgert rein.
Ein Beamter, mit weißen Handschuhen, nimmt sich die Eingangstür, vor und er muss auch nicht lange suchen.
„Hier sind sie rein“, erklärt er, „sie haben das Schloss ausgebohrt. Das sieht nach Profis aus, die haben das Sicherheitsglas der Eingangstür ganz gelassen, um den Einbruch länger vor dem Wachschutz zu verbergen.“
Der dritte Beamte streicht mit einem Pinsel über einen Schubladengriff.
„Fingerabdrücke sind reichlich vorhanden, ob sie von den Einbrechern stammen, wage ich zu bezweifeln“, meint der Beamte zu Flosse.
Nach zwei Stunden zieht das KTU Team wieder ab, nur Flosse bleibt für einen Moment noch da. Er nimmt Léon zur Seite und flüstert ihm ins Ohr, so, dass Mira es nicht hören kann.
„Ich glaube nicht, dass die irgendwelche Wertgegenstände gesucht haben. Wenn, dann würde es hier nicht so aussehen. Die hätten ein paar Sachen mitgehen lassen und wären wieder abgehauen. Die Einbrecher haben deine Wohnung systematisch nach der Karte durchsucht.“
„Kein Zufall?“ Léon lässt den Kopf hängen.
„Sicher nicht. Die Geschichte scheint heißer zu sein, als wir geglaubt haben.“
„Wertvoll muss die Karte sein?“, überlegt Léon.
„Möglich?“, wiederholt Flosse ungläubig, „ich werde prüfen, ob irgendwo eine Karte vermisst wird. Auch werde ich prüfen, ob schon einmal so vorgegangen wurde.“
„Gut“, sagt Léon und ist froh das Flosse als Polizist aktiv wird.
„Bis die Untersuchungen hier abgeschlossen sind, kannst du bei mir wohnen!“
„Nicht nötig. Ich werde auf der Bird of Prey übernachten“, antwortet Léon Kopf schüttelnd.
Um ihn aufzuheitern zwinkert Flosse schelmisch mit dem rechten Auge.
„Wenn du mich fragst, sie wird nicht nein sagen!“
Um die Gerüchteküche nicht anzuheizen, reagiert Léon gereizt auf diese Anspielung.
„Es gibt zwei Schlafkabinen an Bord!“
„Deine Sache“, lenkt Flosse ein, „am Wochenende ist Nordliga. Lass uns gemeinsam hinfahren. Unterwegs können wir dann die Ergebnisse des KTU Teams besprechen.“
„In Ordnung!“, sagt Léon zum Abschied wieder freundlich.
Er geht in die Küche, in der Mira bei einer Tasse Tee wartet und überlegt, wie er Mira das mit dem Übernachten sagen soll.
„Den Weg brauche ich dir nicht mehr zu erklären“, beginnt Léon nach Worten ringend.
„Du schläfst an Bord!“, kommt ihm Mira zuvor.
Léon ist beeindruckt, wie schnell Mira verstanden hat.
„Vorausgesetzt du hast nichts dagegen?“
Mira legt ein Schmunzeln auf und Léon kann in ihren Augen sehen, dass da mehr kommt, als nur ein kurzes, ‚na klar, kein Problem’.
„Was sollte ich dagegen haben! Es ist dein Schiff und Sharki wird nichts davon erfahren“, erwidert sie ohne sich etwas anmerken zu lassen, als sie Léons versteinerten Gesichtsausdruck bemerkt. Léon ist irritiert, versucht es aber zu verbergen. Er ist sich nicht sicher, was für ihn schlimmer ist. Der Einbruch oder dass Mira mit Sharki zusammen ist. Jetzt ist ihm klar, weshalb Mira so gut über die Krefelder - und Duisburger Mannschaft Bescheid weiß. Nur gut, dass Léon einfällt, dass er morgen früh seinen Wagen braucht, und sie deshalb jeder in ihren eigenem Auto zur Bird of Prey fahren. Unter diesen Umständen ist es ihm recht, und er ist froh alleine in seinem Auto sitzen zu müssen. Die ganze Zeit wusste er nicht, wo er bei Mira dran war, er wollte es langsam rausfinden. Doch jetzt fühlt sich Léon verunsichert und ein wenig benutzt. Sie hatte mit ihm gespielt, was jetzt für ihn keine Rolle mehr spielt. Er muss sich mit der Tatsache abfinden, dass Mira mit seinem stärksten Gegner zusammen ist. Als sie schließlich bei der Yacht ankommen, gibt Léon Mira zu verstehen, dass er müde ist und schlafen gehen möchte. Ohne viele Worte zieht sich Léon in seine Kajüte zurück. Léon bleibt wach liegen. Als Mira das Brummen der elektrischen Wasserpumpe ertönen lässt, weiß Léon genau, dass Mira nackt unter der Dusche steht. Léon spürt, dass er das keine weitere Nacht aushält, auch wird es ihm schwerfallen, sie als einen gewöhnlichen Tauchballkumpel zu betrachten. Am nächsten Morgen schleicht er sich in aller Herrgottsfrühe von Bord, um nicht in ihre Augen sehen zu müssen. Er hat nur ein Ziel, seine Bürowohnung so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen, damit er nicht mehr auf der Bird of Prey übernachten muss. Auch, dass er am Wochenende mit der Mannschaft nach Hamburg zur Nordliga fährt, kommt ihm jetzt nicht mehr so ungelegen, wie noch vor wenigen Tagen.

Kapitel 12: Norddeutsche Meisterschaft